Vortrag im Rahmen der interkulturellen Woche in Waldshut am 27.9.2018 in Waldshut, Frank van Veen, M.A.
Es gilt das gesprochene Wort.
I
„Noch bis vor wenigen Jahren gab es im Westen einen gesellschaftlichen Konsens, dass Rassismus inakzeptabel ist. Dieser Konsens wird heute in Frage gestellt von skrupellosen Politikern, die Angst
und Ressentiments schüren.“ Dieses Zitat stammt von Filippo Grandi, dem Chef des UNHCR und umreißt in erfreulicher Knappheit und Direktheit unser heutiges Thema.
Tatsächlich bestimmt die sog. Flüchtlingskrise wie kein anderes Thema den öffentlichen Diskurs und hat zu Verwerfungen in den nationalen politischen Landschaften und den internationalen
Beziehungen geführt und die sozio-kulturellen Beziehungen von Gesellschaften nachhaltig verändert. Rechtspopulisten gewinnen Wahlen mit offen geäußertem Rassismus, Demonstranten skandieren ohne
Hemmungen rassistische Parolen und –für mich besonders absurd – extrem rechte und extrem linke Positionen nähern sich teilweise in bis jetzt nicht vorstellbarer Weise an.
Nur einige wenige Beispiele, wie sehr das Thema Rassismus und Diskriminierung auf Grund rassistischer Standpunkte gegenwärtig an Bedeutung gewinnt:
Eine Ausstellung im Deutschen Hygiene Museum in Dresden widmet sich dem Thema: „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“
In dem Hashtag „MeTwo“ (nicht zu verwechseln mit dem Tag „MeToo“) haben in den letzten Wochen mehr als 50.000 Nutzer über 200.000 Tweets gepostet, in denen von Rassismus in den Schulen, auf der
Straße, im Freundeskreis und sogar in der Partnerschaft berichtet wird.
In Bangladesch, im Bundesstaat Assam, droht vier Millionen Muslimen die Aberkennung der Staatsbürgerschaft. Dahinter steht die hindu-nationalistische Partei BJP, die auch die Regierung in
Delhi stellt.
Besonders bedrückend empfinde ich die Verabschiedung des sog. Nationalitäten Gesetzes in Israel, das das Land als Nationalstaat für jüdische Menschen definiert und nur Juden ein nationales
Selbstbestimmungsrecht zubilligt. Damit werden die nichtjüdischen Staatsbürger Israels zu Bürgern zweiter Klasse degradiert, was zu „Apartheid“ Rufen in der Knesseth führte. Rassismus in
Reinkultur.
Und ganz zuletzt bei dieser kleinen Auswahl: Die Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Carolin Emcke, beschäftigt sich in ihrem Buch „Gegen den Hass“ ausführlich mit der
flächendeckenden Diskriminierung von Muslimen.
II
Aber fangen wir ganz am Anfang an und stellen uns die Frage, was unter dem Begriff „Rassismus“ eigentlich zu verstehen ist.
In aller Deutlichkeit vorab: Die Rassenidee ist ein Konstrukt. Wissenschaftlich gesehen gibt es keine Menschenrassen. Unterschiede zwischen den Menschen machen nach der modernen Mikrobiologie nur
einen verschwindend geringen Anteil an der gesamten genetischen Information aus. Der Soziologe Max Weber hat bereits 1910 als Gegenentwurf zu der damals aufkommenden Wissenschaft der Eugenik
ausgeführt: „ Der exakte Nachweis der ausschlaggebenden Wichtigkeit ganz konkreter Erbqualitäten für konkrete Einzelerscheinungen des gesellschaftlichen Lebens existiert nicht.“
Im Kontext der Diskriminierung ist Rassismus eine Gesinnung, nach der Menschen auf Grund äußerlicher Merkmale – Hautfarbe, Sprache, Kleidung, Bräuche – als Rasse kategorisiert und beurteilt
– besser: verurteilt - werden. Dabei dient die rassistische Kategorisierung der Abwertung der betroffenen Gruppe verbunden mit der Aufwertung der eigenen Gruppe. Die Rasse der Betroffenen
dient dabei der Rechtfertigung diskriminierender Maßnahmen bis hin zu deren Vernichtung.
Der Jude muss vom Antlitz der Erde verschwinden.
Alle Neger sind faul.
Alle Muslime sind Terroristen.
Diese wenigen plakativen Beispiele – effektive rassistische Diskriminierung ist oft subtiler – zeigen, dass es nicht bei äußerlichen Unterscheidungsmerkmalen bleiben kann, sondern ein erweiterter
Rassismusbegriff erforderlich ist. So unterscheidet auch das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeglicher Rassendiskriminierung nicht zwischen rassistischer und ethnischer
Diskriminierung. Ein erweiterter Rassismusbegriff muss daher eine Vielzahl anderer Kategorien erfassen. Die Struktur rassistischer Diskriminierung beinhaltet nämlich stets die Zuordnung von
Menschen zu bestimmten Gruppen verbunden mit der Zuschreibung bestimmter – negativer - Merkmale, seien es nun andersfarbige Menschen (Neger), Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen (Zigeuner),
Menschen eines bestimmten Glaubens (Muslime) etc. Rassismus zielt auf die Rechtfertigung von Herrschaftsverhältnissen, der Sicherung der Vorrangstellung des Eigenen vor dem Fremden, der
Vorenthaltung von Privilegien(Israel) und auf die Mobilisierung von Menschen für politische Ziele. Was man nicht nur aus der deutschen Geschichte kennt (Der Jude ist die Ursache aller Probleme
des deutschen Volkes), sondern auch fast täglich wieder erleben kann, verfolgt man die Politik der AfD und die rechtsradikalen Demonstrationen vor allem in Deutschlands Osten. Ich erinnere daran,
dass die AfD eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet hat, in der gefragt wurde, inwieweit Homosexuelle bundesweit erfasst würden.
III
Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt uns, dass Rassismus kein Problem unserer Tage ist.
Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür – insbesondere im Hinblick auf die anhaltende Diskussion über den Islam ./. Christentum („Christliches Abendland“) – findet sich bereits im 14.
Und 15. Jahrhundert und wurde religiös begründet. Nach der Rückeroberung Andalusiens durch die Spanier wurden Juden und Muslime als fremde Eindringlinge verfolgt und aus Spanien vertrieben. Die
Zugehörigkeit zu einer Religion wurde zum Wesenskern des Menschen erklärt mit der Folge, dass sogar nach einer auch damals möglichen Konversion der Konvertit nicht als vollwertiges Mitglied der
Gesellschaft akzeptiert wurde. Dem Juden und dem Muslim, so die damalige Vorstellung, liege das jüdische bzw. muslimische Wesen im Blut, und ist damit unzweifelhaft rassistisch. Die
zugrundeliegenden Rechtsvorschriften, die „Statuten von der Reinheit des Blutes“ aus dem Jahr 1449 können als Vorlage der Nürnberger Rassegesetze angesehen werden. Sie führten zu einer
Stigmatisierung einer ethnischen Gruppe auf Grund von Merkmalen, die weder durch Assimilation noch durch Bekehrung beseitigt werden konnten.
Die Parallelen zur heutigen Situation sind augenfällig, zieht man die Diskussion über die angeblich unmögliche Integration von Schutzsuchenden in Betracht.
Durch die Jahrhunderte zieht sich dann der immer neu begründete Anspruch, Rassenunterschiede philosophisch und pseudonaturwissenschaftlich zu begründen, Menschen zu kategorisieren und zu
katalogisieren. Dabei stand nicht nur der wissenschaftliche Anspruch, etwas zu beschreiben im Vordergrund; die Klassifizierung wurde stets mit einer wertenden, im Kern: abwertenden Beurteilung
verbunden. Mit den festzustellenden äußerlichen Merkmalen wurde gleichzeitig eine Hierarchie der Rassen aufgestellt. Seinen – vorläufigen - Höhepunkt fand diese Methode in der Erfindung der
arischen Herrenrasse durch die Nazis.
Und ungebrochen ist beispielsweise der ungeschminkte Rassismus von Teilen der US- Amerikanischen Gesellschaft einschließlich ihres gegenwärtigen Präsidenten. (Black lives matter)
IV
Eine Vielzahl von nationalen Regelungen, internationalen Abkommen und Kommissionen regelt den Umgang mit Rassismus. Hierzu nur einige Beispiele:
Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1966 definiert in seinem Artikel 1 Rassendiskriminierung als jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der
Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung , Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, …Menschenrechte und
Grundfreiheiten zu vereiteln oder zu beeinträchtigen.
In der Grundrechte Charta der Europäischen Union von 2000 findet sich in Artikel 21 der Grundsatz der Nichtdiskriminierung auf Grund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen und
sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der sexuellen Ausrichtung.
Wenn Rassismus unter der größeren Überschrift „Diskriminierung“ verstanden wird, handelt es sich hierbei um die umfassendste Definition.
Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist in Artikel 2 das Verbot der Diskriminierung festgeschrieben.
In Artikel 1 der Europäischen Menschrechtskonvention werden deren Rechte allen Personen der Mitgliedsstaaten unabhängig von allen Unterschieden garantiert.
Und zuletzt noch der Hinweis auf innerstattliches Recht: In Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ist das Verbot der Benachteiligung auf Grund seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse,
seiner Sprache…normiert.
V
Nachdem wir nun also wissen, wovon wir reden, wenn wir über Rassismus sprechen, können wir uns die Frage stellen, was die Ursachen für dieses, die Menschheitsgeschichte durchziehende Phänomen
sind. Sicher werden wir nicht zu einer abschließenden Antwort kommen, zu vielfältig sind die denkbaren Ursachen.
Wenn die Funktion einer rassistischen Politik bzw. Einstellung primär der Herrschaftssicherung unter Herausstellung der eigenen Überlegenheit dient, dann drängt sich zunächst auf, dass die Abwehr
des Fremden von der eigenen Gemeinschaft eine der Ursachen von Rassismus sein könnte. Der ins eigene Land drängende Andere wird als Bedrohung erlebt, als Bedrohung der eigenen Privilegien, der
Sicherheit und der kulturellen Identität. Letztlich ist insoweit Angst das treibende Element.
Bei diesem Szenario sind wir bei der gegenwärtigen Situation angelangt, bei einer Situation, die sich im Jahr 2015 als chaotisch gezeigt hat, die heute im Wesentlichen zur Ruhe gekommen ist
und die - daran habe ich keinen Zweifel – für viele Ängste und vor allem für das Wiedererstarken der AfD ursächlich ist. Dabei spielt keine Rolle, dass heute (und vielleicht auch in den
zurückliegenden Jahren) kein objektiver Grund existiert, um die Privilegien der „richtigen“ Deutschen zu fürchten. Angst ist meist irrational und daher in einem vom Intellekt bestimmten Diskurs
schwer zu fassen.
Eine weitere Ursache könnte in der Kompensation psychischer Defekte liegen, in einem unbewusst angenommenen Unterlegenheitsgefühl. Durch die Diskriminierung des Anderen, durch dessen
Abwertung wird die eigene Position gefestigt, und die Abwertung führt als Spiegel zur eigenen Aufwertung. Eine Stärkung des „Ichs“ ist die Folge. Es gibt ein schönes Zitat vom, wonach es dem
Rassisten um groß zu sein genügt, auf die Schultern eines anderen zu steigen.
Mir scheint, dass es im Wesentlichen um Menschenrechte, um den Respekt vor der Menschgenwürde geht. Unabhängig davon, aus welchen Gründen – scheinbaren oder tatsächlichen – negiert der Rassist
die Grundrechte anderer. Dass dies nicht zu rechtfertigen ist, bedarf wohl keiner Diskussion.